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Bernsmann · Rausch · Schnatenberg*
Wir sind Verteidiger

Festvortrag auf der 18. Fakultätsfeier der Juristischen Fakultät der RUB

Prof. Dr. Klaus Bernsmann


Liebe Absolventen, liebe frischgebackenen Doktores der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität, meine sehr verehrten Damen und Herren,

Die besondere Ehre, den Festvortrag auf der 18. Fakultätsfeier der Juristischen Fakultät halten zu dürfen, verdanke ich – wie ich von dem Herrn Dekan, Prof. Wolters – weiß, meiner offenbar besonderen persönlichen Beziehung zu dieser Fakultät. Zumindest dürfte es tatsächlich auch nur noch wenige Personen geben, die so lange und so dauerhaft eng mit der Juristischen Fakultät der RUB zu tun hatten, wie ich.

Ich habe mein Jura-Studium in Bochum im Jahre 1966 begonnen – 2 Semester nach Aufnahme des Lehrbetriebes an der RUB. Ich habe deutlich mehr Semester Jura studiert als heute als Regel gilt – es waren wohl 13.

Ich war anschließend Stipendium geförderter Doktorand bei meinem späteren Lehrer Gerd Geilen, einem Hochschullehrer der allerersten Stunde in Bochum. Anschließend war ich am Lehrstuhl Geilen wissenschaftliche Hilfskraft, dann wissenschaftlicher Assistent und Habilitand. Nach Promotion und Habilitation bin ich 1988/89 einem Ruf an die Universität zu Köln gefolgt, um 2001/02 – endlich - wieder zurück nach Bochum zu kommen. Im vergangenen Wintersemester habe ich – nach von mir nicht gezählten Jahren – die vollzeitige Lehrtätigkeit an unserer Fakultät (9 Semester/Wochenstunden) beendet. Leicht ist mir das nicht gefallen. Der Dekan hält mich – so glaube ich herauszuhören – für so etwas wie ein Relikt, vielleicht auch für eine Reliquie der Juristischen Fakultät, er spricht gelegentlich – völlig unpassend – von mir als Säulenheiligen der Fakultät. All das möglicherweise auch deswegen, weil ich mich nicht nur sehr lange um Forschung und Lehre in den Fächern Strafrecht und Strafprozessrecht an der RUB ge- bzw. bemüht habe, sondern – zu allem - auch noch aus Witten stamme – man kann diese Stadt von der Mensa aus fast sehen.

Mehr „Ruhr“ lässt sich weder landsmannschaftlich noch akademisch kaum denken.

Herr Wolters hat gemeint, dass ich als seltener Zeitzeuge erlebte Geschichte – als Oral History - liefern könne. Das mag zutreffen.

Aber für die sieben Jahrzehnte, von denen in der Überschrift zu meinem Vortrag die Rede ist, bedürfte es, was meine Erfahrungen, Erlebnisse und Einsichten, die ich in dieser langen Zeit gemacht habe, angeht, eines recht dicken Buches.

Aber ich habe ein solches Buch nicht geschrieben und werde es auch nicht schreiben. Ich habe stattdessen für den heutigen Tag versucht, etwas aus meiner Zeit an der RUB aus meiner Erinnerung hervorzuholen, was Sie, liebe AbsolvenInnen, besonders interessieren könnte. Ich habe daher die Zeit gewählt, die der Epoche entspricht, die Sie, soeben hinter sich gebracht haben. D.h. die Zeit zwischen Beginn des Studiums und 1. Staatsexamen.

Meine Bemühungen haben dabei ergeben, dass diese Zeit nicht nur, weil ich außer dem Studium ein zweites Leben als sog. Leistungssportler hatte, möglicherweise sehr anders gewesen sein könnte als bei Ihnen und daher für Sie jedenfalls nicht uninteressant.

Also: Im Wintersemester 1965/1966 kamen die ersten Studierenden zur RUB. Ich kam – mit dem Fahrrad – im Jahr 1966 – war also fast von Anfang an dabei.
Warum Jura? Ich hatte nicht die geringste Ahnung, worum es im Studium gehen würde. Ich hatte nur gehört, man könne auch ohne längere Anwesenheit an der Uni das Examen bestehen. Das passt für mich. Ich brauchte Zeit, um zu trainieren.

Von Außen war die RUB damals vor allem eine riesige Baustelle – angeblich die größte Europas. Der Lehrbetrieb hatte allerdings nur in drei Gebäuden: IA – IB – und dem – nur halbfertigen – IC – begonnen. Heute liegen diese Gebäude irgendwo am Rand – ich weiß nicht einmal, welche Fächer dort jetzt angesiedelt sind.
Die Juristen sind, ich meine zu Beginn der 70er Jahre, im Gebäude GC gelandet, inzwischen GD.

Zurück zur Baustelle. Es war ein in jeder Hinsicht riesiger Campus mit einer gewöhnungsbedürftigen, aber mir durchaus imponierenden „brutalen“ Architektur - und vor allem ganz vielen, für mich sehr interessanten Personen. Eine Universität im Ruhrgebiet war, nicht nur für mich, eine epochale Angelegenheit: Bis dahin galt wohl, die u.a. Bismarck zugeschriebene Warnung: Im Ruhrgebiet keine Universitäten und keine Kasernen! – wahrscheinlich: zu viele oder nur Arbeiter.

Da waren wir also – viele Studierende wie ich fern jeglicher Kenntnis von akademischen Sitten und Gebräuchen – mit „Verbindungen“ hatte ich mich nie vorher beschäftigt und auch manche Umgangsformen waren mir fremd – ich fand es jedenfalls etwas seltsam, von einem schlips-tragenden Studenten mit „Herr Kommilitone“ angesprochen zu werden.

Letzteres – Umgangsformen - sollte sich allerdings nach 1966 - schnell ändern. Das Äußere, insbesondere der Schlips – fiel bei den „Kommilitonen“ weg, man hörte auch auf, sich zu siezen.

Bevor ich es vergesse: Einem Heldenmythos muss ich widersprechen: Der Gummistiefel-Saga - als ob wir wie Bauarbeiter ausgesehen hätten. Ich jedenfalls habe nie Gummistiefel tragen müssen, um in Gebäude zu gelangen – vielleicht haben – wie üblich - stiefeltragende Politiker die Baustellen an und an besichtigt.

Richtig ist allerdings, dass umgekehrt Bauarbeiter manchmal an Vorlesungen teilgenommen haben. Der größte Vorlesungssaal befand sich im Gebäude IC. Dort waren eigentlich die Wirtschaftswissenschaftler. Aber als Rudi Dutschke die RUB besuchte, kamen alle, inklusive der dort noch arbeitenden Handwerker in den Hörsaal des Gebäude IC.

Die RUB war als mit hoher Geschwindigkeit auf dem Weg, eine komplette Ruhrgebiets-Universität zu werden. Mit Ausnahme der fehlenden klinischen Medizin ist das ja auch gelungen. Die RUB hat dabei auch den Auftrag – in der Sprache der Sozialpolitik – bildungsbenachteiligten jungen Menschen aus den notorisch strukturkonservativen Arbeitermilieus des Ruhrgebiets Bildungs-Chancen zu eröffnen, durchaus erfüllt. Immerhin waren im Ruhrgebiet bis dahin nur etwa 6% der Arbeiterkinder Abiturienten. Aber jetzt - es war auch die Zeit des sog. Wirtschaftswunders – ging es um die Ausschöpfung, wie man in zwischen weiß, von erheblichen Bildungsreserven. Angehöriger dieser Bildungsreserve war auch ich.

Und ich war auch – sonst stünde ich nicht hier – Teil der insoweit erfolgreich angestrebten Verbürgerlichung der Arbeiterschaft.

Und da war ich nun an der Uni – für mich ein vor allem rätselhaftes Wesen, das mich zunächst sozial ungelenk machte – vielen Mitstudierenden ging es ähnlich und das gab Spaßvögeln Gelegenheit zu obskuren Auftritten in Vorlesungen.

Ein Beispiel mit mir als Zeugen: Die 1. Vorlesung zur Allgemeinen Staatslehre – der große Hörsaal ist voll – Beginn laut Vorlesungsverzeichnis 10 Uhr. Um Punkt 10 Uhr kommt ein Mann mit professoralem Cord-Anzug, ebenso professoral zerzausten Haaren und professoraler schwarzer Brille. Er begrüßt die Anwesenden und malt mit quietschender Kreise irgendetwas an die Tafel, das das System der allgemeinen Staatslehre verdeutlichen soll. Alle sind aufmerksam und malen mit. Einige Zeit später, genauer wahrscheinlich um 10 Uhr 15, kommt ein junger Mann, eher unscheinbar, in den Saal. Er spricht den Vortragenden: „Nicht schon wieder, Herr Steinmeier!“. Daraufhin entschuldigt sich der Angesprochene mit den Worten: „Es macht doch so viel Spaß, Herr Professor!“ und verlässt den Hörsaal.

Der später gekommene junge Mann war Prof. Ingo v. Münch, später ein sehr bedeutender Staats- und Verfassungsrechtler – in den 90er Jahren Zweiter Bürgermeister und Senator für Wissenschaft und Kultur der Freien und Hansestadt Hamburg.

Der geflohene Steinmeier war ein Student in höherem, eigentlich sehr hohem Semester, der in einigen Erstsemester-Vorlesungen regelmäßig die fehlende Kenntnis der Studierenden vom sog. akademischen Viertel ausnutzte, um sich als Professor auszuprobieren. Mein späterer Lehrer, Prof. Geilen, dem der Auftritt von Herrn Steinmeier auch schon passiert war, kannte ihn sogar persönlich. Er war ihm ebenso wenig böse wie Prof. v. Münch, Steinmeier halt ein komisches Talent.

Für mich war das ein ganz kleiner, bunter Schnipsel einer neuen Welt, der – ich gestehe – unter anderem dazu beitrug, die Ruhr-Universität im Ganzen zu lieben: Es gab dort ja auch wirklich kluge Leute, die geduldig Dinge zu erklären versuchten, von denen man zuvor noch nie gehört hatte, und dies in einer nur scheinbar einfachen, wie ich fand, wunderbaren Sprache. Die meisten Professoren waren jung / wie sie freundlich-zugewandt aber auch fast alle anderen.

Dies führte entgegen meiner Absicht, die Universität eher sparsam zu besuchen, dazu, dass ich nicht nur regelmäßig in die juristischen Vorlesungen, sondern auch in Vorlesungen anderer Abteilungen gegangen bin.

Z.B. in das Gebäude IA. Dort befanden sich Geisterwissenschaften. Ich hatte mir u.a. mir noch vor Augen stehende Vorlesung zu Wesen und Geschichte des Films ausgesucht – gehalten von einem bedeutenden Kulturwissenschaftler und Kultur-Politiker – Hilmar Hoffmann. In mein „studium generale“ gehörte auch der wöchentliche Jour-Fix für alle linken bzw. linksliberalen Studierenden: Leo Koflers Vorlesungen zu Gesellschaftstheorie und dialektischem Denken.

Ich habe vieles nicht verstanden, was Kofler vor-dachte, aber man nahm akut teil an den Gedanken eines den Zeitgeist ausschnittweise mitbestimmenden Philosophen.

Was ich damit sagen will: Für mich und einen Teil meiner Generation Studierender war die Zeit zwischen 1966 und dem Ende meiner Studienzeit an der RUB eine besondere Zeit. In Bochum hat man die sog. „Studentenbewegung“ bzw. die Zeit der „68er“ sicher nicht so intensiv erlebt, wie Studierende in Berlin oder in Frankfurt. Aber man konnte sich dem Zeitgeist auch an der RUB nicht völlig entziehen.

Ich war wohl eher ein milder Sympathisant der Bewegung. Immerhin war ich sportlich – mit Adler - häufig für Deutschland unterwegs. Mein in jeder Hinsicht vorrangiges Ziel war die Teilnahme an der Olympiade 1972 in München. Ich habe diese Olympiade verletzungsbedingt verfehlt. Zweifellos zu meinem Glück. Es sind ohnehin annähernd 14 Semester bis zum Bestehen des 1. Examen geworden.

Zurück zu den Impressionen aus etwas unruhigeren Tagen der 68er Zeiten. Mein Lehrer - Prof. Gerd Geilen – hat sich – so seine immer wieder vom Neuen wortreich geschilderten Erlebnisse– den wohl eher pseudo-revolutionären Anwandlungen an der RUB entschlossen und tatkräftig, d.h. auch körperlich – mit geballten Fäusten - entgegengestellt. Prof. Geilen war ein konservativer, zugleich aber ein m.E. genialer, umfassend gebildeter Strafrechtler und zugleich ein denkbar liberaler Geist. Von Letzterem habe ich im großen Maße profitiert.

Ein wesentliches Objekt seiner tiefsten Abneigung waren z.B. Studierende, die –- unter Skandierung des berühmten „Ho-Chi-Minh“ - im Zuge einer Demonstration versucht hatten, ihm den Weg zu einer Vorlesung zu versperren. Er hatte sich – wie gesagt mit geballten Fäusten - unverzagt erfolgreich durch die Menge der „Hottentotten“ – wie er die Demonstrierenden – damals noch subjektiv ohne jede rassistische Konnotation nannte, hindurchgekämpft.

Aber es gab – wie ich erst sehr viel später herausgefunden habe – auch andere, ggf. schlimmere Gefahren, vor denen man in diesen Zeiten als Studierender an der RUB nicht unbedingt gefeit war: Es war ja auch die Zeit, in der die RAF und andere terroristische Gruppen – z.B. die „Revolutionäre Zellen (RZ)“ – nicht nur in Deutschland opferreiche Anschläge begingen. Mitglieder solcher Gruppierungen gab es – wie sich herausgestellt hat – auch in der unmittelbaren Umgebung der Ruhr-Universität, nicht zuletzt auch unter Studierenden. Insoweit konnte schon die bloße Bekanntschaft mit solchen Personen - für die Betroffenen unangenehme – Ermittlungen, etwa von Seiten des Staatsschutzes auslösen.

Soweit erkennbar, war das bei mir nicht der Fall. Völlig zu Recht. Aber in Wahrheit war ich nicht ungefährdet.

Worum geht es:
Ich hole ein wenig aus: Wenn man sich über die Ruhr-Universität per Wikipedia informieren will, wird z.B. über Rektoren und KanzlerInnen und vieles Sonstige gut informiert. Aber es gibt auch eine – nennen wir die eher seltsame – Rubrik: „Studenten/Absolventen“. Hier finden sich – ohne erkennbare Auswahl-Kriterien – die verschiedensten, mehr oder weniger aus den Medien bekannte Personen, Politiker, Autoren, Schauspieler, Sänger, Sportler usw.

Es findet sich auch der lapidare Eintrag: ich zitiere „Johannes Weinrich, geb. 1947, Terrorist, Mitglied der Revolutionären Zellen“. Johannes Weinrich war Student Ich kannte ihn. Natürlich nicht als Mitglied einer terroristischen Vereinigung – sondern als freundlichen und überaus kundigen Geschäftsführer einer Buchhandlung in der Overbergstraße, d.h. in unmittelbarer Nähe der damaligen Mensa. Ich war und bin Büchernarr und habe dort – in der Politischen Buchhandlung - viele Bücher gekauft, von Weinrich bestellen lassen und mit ihm vor allem über Bücher gesprochen. Er war eines Tages nicht mehr da. Später konnte man der Presse entnehmen, dass Weinrich als rechte Hand des Terroristen Illich Ramírez Sánchez, genannt Carlos, der Schakal, gilt.

Weinrich soll an vielen Anschlägen beteiligt gewesen sein. Er wurde im Jahr 2000 vom LG Berlin zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Mein doch so scheinbar freundlicher Buchhändler, an Tagen wie heute mit Shorts und Sandalen, im Winter mit Rollkragenpullover und Anorak, in durchaus buchhändlerischem Outfit – ein Terrorist. Ich haben ihn seit 1979 nicht mehr gesehen. Aber immer irgendwie doch noch auf das Erscheinen von Leuten gewartet, die mich über meine Bekanntschaft mit ihm befragen würden. Und ich habe natürlich auch über mein fehlendes kriminalistisch-kriminologisches Judiz nachgedacht. Denn ich besitze immerhin die Lehrbefugnis auch für Kriminologie. Ich habe offensichtlich zu Recht von ihr nie Gebrauch gemacht.

Im Alltag der juristischen Fakultät waren studentischen Proteste damals zwar präsenter als heute – standen aber nicht im Vordergrund der Interessen der Mehrheit der Studierenden. Man kannte einige Protagonisten der Proteste, z.B. den Mittags in der Mensa allgegenwärtigen Hajo. Er betrieb einen kleinen Bücherstand voller Raubdrucke, war aber wohl eher ein Spezialfall, die Karikatur eines Revolutzers in Sinne des bekannten Gedichtes von Erich Mühsam: „Es war einmal ein Revolutzer…“. Hajo soll im Übrigen bei dem damaligen Rektor, Prof. Ewald, gewohnt haben.

Es gab aber z.B. auch bekannt gewordene studentische Aktionen, z.B. gegen einen Professor der Soziologie, dem zu große Nähe zu dem damaligen diktatorischen Militärregime in Griechenland vorgeworfen wurde. Diese Aktionen führten immerhin zu – allerdings weitgehend ergebnislosen – Strafverfahren.

Mein Erlebnis mit dem Aufeinandertreffen von Jura-Studenten und Studenten der Sozialwissenschaften im Rahmen eines gemeinsamen Seminars war dagegen ein Beispiel für das Desinteresse der meisten Jura-Studenten an einer Kulturrevolution. Zu den Leuchttürmen der Soziologie gehörte schon damals Prof. Urs Jäggi. Bei den Studierenden vergleichbar geachtet und beliebt war bei den Juristen Prof. Hermann Dilcher. Von Jäggi war bekannt, dass er mit der Studentenbewegung sympathisierte, bei Herrn Dilcher, dessen Vorlesungen ich mit großer Begeisterung besucht hatte, wunderte mich dagegen die gemeinsame, offensichtlich mit kritischer Absicht ins Werk gesetzte Veranstaltung, von der ich gleich berichte.

Prof. Dilcher war in mancher Hinsicht ein Unikat. Er kommentierte z.B. zu Beginn jeder Montagsveranstaltung – auf einem Stuhl sitzend – das Fernsehprogramm bzw. die Nachrichten des Wochenendes – auf sehr unterhaltsame Weise.

Herr Dilcher gehörte nicht nur deswegen zu dem Typus junger Professoren, die der gerade entstandenen Juristischen Fakultät ein anspruchsvolles, zugleich aber auch ein freundlich-kommunikatives Gepräge gegeben hat.

Einige Vertreter dieser Generation sind der RUB trotz zahlreicher Rufe von anderen Universitäten treu geblieben, sind mit der Fakultät älter geworden und bis zu ihrer Emeritierung in Bochum geblieben. Zu ihnen gehörte auch mein akademischer Lehrer – Prof. Gerd Geilen – ein ebenso feinsinniger wie kritischer Wissenschaftler und begeisterter und begeisternder Lehrer. Seine Vorlesung – z.B. zum Strafrecht BT – war immer voll, u.a. auch deswegen, weil viele Studierende anderer Abteilungen zu seinen „Fans“ gehörten. Er ist geblieben – Rufe aus München, Tübingen und Kiel hat er abgelehnt – zu dem Warum hat er nie etwas gesagt. Andere sind relativ schnell den Rufen anderer Universitäten gefolgt, z.B. Prof. Lutter, ein bedeutender Gesellschaftsrechtler. Ich hatte ihn im 2. und 3. Semester im Zivilrecht AT und in der Kleinen Übung im Zivilrecht. Er war jung, dynamisch, im Hörsaal dauernd unterwegs – und ich daher dauernd damit beschäftigt, bloß nicht von ihm befragt zu werden.

Natürlich gab es auch interdisziplinäre Experimente, die dem Zeitgeist entsprachen, aber genau deswegen mit spezifischen Risiken behaftet waren:

Ich komme damit zurück auf die schon angesprochene gemeinsame Veranstaltung Jäggi/Dilcher. Ich war sozusagen teilnehmender Beobachter an einem gut gemeinten, aber eher gescheiterten einschlägigen Projekt: Ein interdisziplinäres Seminar zwischen Soziologen und Juristen. Thema des Seminars: Soziologie und Recht der Familie – zu jedem Thema ein(e) VertreterIn der Soziologie und ein Jurist als ReferentInnen. Mein Thema: „Kindergeld“. Die erste Sitzung des Seminars zeigte bereits die von den beiden Veranstaltern offensichtlich nicht bedachte Diskrepanz zwischen den Studierenden der beiden Disziplinen zu dem in dieser Zeit aktuellem Thema „Familie“ und die damit sich zumindest den Soziologen aufdrängenden Rückgriffen auf psychoanalytische Themen.

Das zeigte sich schon zu Beginn der ersten Sitzung. Eine Studentin der Soziologie stand auf und erklärte: Sie und ihre Genossinnen würden nur dann an diesem Seminar teilnehmen, wenn alle TeilnehmerInnen vorab ihren familiären Hintergrund offenlegen würden. Sie fange damit jetzt an: ihr Vater sei Straßenbahnfahrer, ihre Mutter Verkäuferin, sie sei die einzige von insgesamt 4 Kindern, die als Abiturientin studieren dürfe.

Es wurde diskutiert, schließlich wurde abgestimmt. Ergebnis: man hatte die Wahl zu bleiben oder zu gehen. Ich hatte mich der Stimme enthalten. Die Angaben zu Herkunft machten mir allerdings in diesem Kreis angesichts meiner proletarischen Abstammung schon wegen der überwiegend gut bürgerlichen Herkunft der anderen – natürlich auch der SoziologInnen – nichts aus.

Aber das war keineswegs das Ende der zeittypischen Schwierigkeiten dieses Seminars. Ausgerechten an dem Tag, an dem ich meinen mündlichen Seminar-Vortrag halten sollte – Ko-Referent ein Soziologe zu Thesen des marxistischen Psychoanalytikers Willhelm Reich – einem Parallel-Thema – wurde das Dekanat der Sozialwissenschaftler – Dekan Prof. Jäggi – von Studierenden besetzt. Prof. Jäggi musste mit den Aufrührern verhandeln, die Seminarsitzung fiel aus. Mein Vortrag natürlich auch – den Seminarschein habe ich von Prof. Dilcher erhalten.

Damit soll mein Rückblick auf meine Zeit als Student an der RUB enden. Ich habe im Jahr 1972 – statt Olympiade – das 1. Staatsexamen bestanden. Weil ich mit Jura keinen mir passenden Beruf vorstellen konnte, hatte ich schon vor dem Examen – vorsorglich – begonnen, Medizin zu studieren. Es gab allgemein noch keinen „numerus clausus“. Das Studium in den ersten Semestern Medizin ist schrecklich. Ich habe es nicht sonderlich aktiv betrieben, wohl aber habe ich mich um eine Promotion bei Prof. Geilen bemüht. Die ging gut voran und wurde nach etwa drei Jahren fertig. Sie behandelte ein juristisch-medizinisches Thema: Die Schuldfähigkeit. Anschließend fing ich als Hilfskraft am Lehrstuhl Geilen an. Prof. Geilen meinte, ich sei etwas für die Universität. Das ginge aber nicht ohne das 2. Examen. Im Jahre 1979 war ich dann – nach endloser Zeit als Referendar – Assessor und wurde wissenschaftlicher Assistent.

Ich habe danach versucht, mich wissenschaftlich zu profilieren und gleichzeitig gemerkt, wie gerne ich anderen Menschen etwas beibringe, zu erklären versuche, wie Dinge zusammenhängen und wie schön es ist, wenn sich gegenseitiges Verständnis einstellt. Darin liegt das Wesen der Universität und weil das immer wieder einmal gelingt, habe ich meinen Beruf als Hochschullehrer geliebt. Das ich gleichzeitig permanent Frustrationserlebnisse als Strafverteidiger hatte und habe hat meine Liebe zur Wissenschaft und Lehre nicht behindert. Die Universität war und ich für mich für alle, die an dieser Veranstaltung teilnehmen, eigentlich ein Ort der Glückseeligen.

Ich bekam relativ schnell einen Ruf an die Universität zu Köln. Diese Universität rühmt sich - im Gegensatz zur RUB – einer mehr als 600-jährigen Tradition. Möglicherweise deswegen ist dort vieles anders. Die Professoren-KollegInnen waren nach meinem Empfinden in jedem Sinne des Wortes älter – die Studierenden dagegen erheblich lebhafter, um nicht zu sagen, vorlauter als ihre KollegInnen in Bochum. Es gibt dort darüber hinaus viel studentisches Leben, nicht nur im eigentlichen Uni-Viertel, sondern über die Stadt verteilt.

Die Universität zu Köln ist – so war mein Gefühl – in dieser großen Stadt keine Marginalie - dem entsprach das Selbstwertgefühl der Lehrenden und Studierenden.

Dennoch: Ich wollte zurück nach Bochum – Tübingen, Freiburg oder sonstige „klassische“ Universitäten kamen für mich nicht in Frage. Auch nicht die Annahme eines ausländischen Rufes nach Basel. All das wäre für mich gleichsam Verrat an meiner Idee einer speziellen Ruhr-Gebietsuniversität gewesen.

Eine schnelle Rückkehr nach Bochum hat sodann eine Wissenschaftsministerin, an deren Name ich mich vor lauter Zorn nicht mehr erinnern kann – per Dekret verhindert. Der zweite Versuch – ein paar Jahre später – war erfolgreich.

Also bin ich seit 2002 zurück in Bochum. Die Absolventenfeier habe ich als Modell aus Köln sozusagen mitgebracht und sogar auch den ersten Festredner – an meiner Stelle stand der Superminister im Kabinett Schröder – Wolfgang Clement – vormals Ministerpräsident von NRW und lange davor Assistent des Ihnen schon bekannten Prof. v. Münch. Die RUB hat sich inzwischen zu einiger Blüte entwickelt – eine international anerkannte Universität – verändert hat sich aber – so kommt es mir vor - ihre spezifische Verankerung im Ruhrgebiet.

„Heimat“ wie vordem waren mir in den letzten Jahren an der Universität vor allem eigentlich nur noch die wissbegierigen StudentInnen und ihr Interesse, das sie zahlreich auch Veranstaltungen zu später Stunde besuchen ließ.

Sie merken: das häufig so wohlfeil empfohlene Loslassen ist nicht mein Ding. Mir fehlt die Uni seither. Vor allem auch die physische Erschöpfung nach 90 Minuten Beschäftigung mit dem, was Vorlesung genannt wird, in Wahrheit aber ein verständnisorientierter Dialog sein sollte und manchmal auch ist.

Ich bin damit – für heute – am Ende. Liebe Absolventen und Doktores, ich wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft. Seien Sie stolz auf Ihre Leistungen, und hoffentlich auch auf Ihre, in mancher Hinsicht besondere Ruhr-Universität.

Prof. Dr. Klaus Bernsmann, Bernmann Rausch & Partner, Düsseldorf

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