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Wir sind Verteidiger

ZWH 4/2019

Rechtsprechung - Verfahrensrecht

Berufungsbeschränkung auf Strafmaß bei besonders schwerem Fall der Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO

AO §§ 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1, 376 Abs. 1; GG Art. 103 Abs. 2; StGB § 1, § 11 Nr. 8; StPO § 302 Abs. 2, § 318, § 344 Abs. 2 S. 2

1. Die Wirksamkeit der Beschränkung einer Berufung auf das Strafmaß wird nicht dadurch infrage gestellt, dass der Angeklagte sich darauf beruft, bei einem Teil der Taten seien die Voraussetzungen für ein Regelfallbeispiel gem. § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO aus rechtlichen Gründen nicht erfüllt. Dies gilt selbst dann, wenn das Rechtsmittel insoweit das Ziel einer Verfahrenseinstellung wegen Verjährung der Taten verfolgt.
2. Im Falle besonderer Verschleierungshandlungen durch Vereinnahmung von Geldern über ein ausländisches Konto war bereits nach früherer Rechtsprechung ein großes Ausmaß der verkürzten Steuern i.S.v. § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO schon ab einem Betrag von 50.000 € anzunehmen, so dass sich die Frage, ob und inwieweit eine Änderung der Rechtsprechung sich als eine unzulässige Rückwirkung erweist, schon deshalb nicht stellt.
(alle amtl.)

OLG Bamberg, Urt. v. 22.6.2018 – 3 OLG 110 Ss 38/18

Zum Sachverhalt:

Das AG verurteilte den Angekl. am 26.10.2017 wegen Steuerhinterziehung in 6 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Daneben hat es gegen den Angekl. eine Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen verhängt und die Einziehung von Wertersatz i.H.v. 238.000 € angeordnet. Gegen dieses Urteil legte der Angekl. am 2.11.2017 Berufung ein, welche er mit Verteidigerschriftsatz vom 2.2.2018 „auf das Strafmaß und die Rechtsfrage“ beschränkte, „ob für die Veranlagungszeiträume 2007, 2008 und 2009 ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO“ vorliege. Mit Urteil vom 23.2.2018 hat das LG, das von einer wirksamen Beschränkung des Rechtsmittels auf den „Rechtsfolgenausspruch“ ausging, die Berufung des Angekl. mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die Höhe der angeordneten Einziehung von Wertersatz 228.000 € beträgt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angekl. mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt. Sein Rechtsmittel bleibe ohne Erfolg.

Aus den Gründen:

I. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der statthaften und auch im Übrigen zulässigen Revision deckt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angekl. auf.

1. Eine den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügende Verfahrensrüge ist mangels Ausführung nicht erhoben.

2. Die Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß ist wirksam, was der Senat aufgrund der zulässigen Revision von Amts wegen zu prüfen hat (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 30.11.1976 – 1 StR 319/76 = BGHSt 27, 70 = NJW 1977, 442 = JZ 1977, 142 = MDR 1977, 326 = DAR 1977, 136 = JR 1978, 70; BayObLG, Beschl. v. 2.2.2001 – 5St RR 20/01 = VRS 100 [2001], 354 = NZV 2001, 353 = BA 38, 290; OLG Bamberg, Beschl. v. 3.4.2018 – 3 Ss OWi 330/18; 30.10.2017 – 3 Ss OWi 1206/17 = VM 2018, Nr. 7 = ZfS 2018, 114; 9.10.2017 – 3 OLG 6 Ss 94/17; Urt. vom 14.3.2017 – 3 OLG 6 Ss 22/17 [jeweils bei juris]; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 61. Aufl., § 318 Rz. 33, § 327 Rz. 9, § 352 Rz. 4).

a) Die Bestimmung des § 302 Abs. 2 StPO steht der Wirksamkeit der vom Verteidiger erklärten Berufungsbeschränkung auf das Strafmaß nicht entgegen. Der Verteidiger war nach dem Inhalt seiner gegenüber dem Senat [...] abgegebenen Stellungnahme ausdrücklich vom Angekl. dazu ermächtigt, die als Teilrücknahme des zunächst unbeschränkt eingelegten Rechtsmittels zu wertende nachträgliche Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß (vgl. für den Fall der Einspruchsbeschränkung nach § 67 Abs. 2 OWiG zuletzt OLG Bamberg, Beschl. v. 3.4.2018 – 3 Ss OWi 330/18 [bei juris] m.w.N.) zu erklären.

b) Auch sonst begegnet die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung keinen Bedenken.

aa) Die tatsächlichen Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils entsprechen zwar nicht den Anforderungen an eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung, weil die Darstellung der Steuerberechnung im Einzelnen (st. Rspr., vgl. zuletzt nur BGH, Beschl. v. 24.5.2017 – 1 StR 176/17 = NStZ 2018, 341 = NZWiSt 2018, 38 = StV 2018, 39 = wistra 2017, 445; Urt. v. 19.12.2017 – 1 StR 56/17 [bei juris]; 28.10.2015 – 1 StR 465/14 = NStZ 2016, 292) unterbleibt, sich stattdessen auf die Mitteilung der erklärten zu versteuernden Einkommen, der tatsächlichen Einkommen und der Bezifferung der verkürzten Steuerbeträge beschränkt. Dieser Darstellungsmangel berührt indes nicht die Wirksamkeit der Beschränkung des Rechtsmittels auf das Strafmaß, weil die Angaben zur Höhe der hinterzogenen Steuern für die jeweiligen Veranlagungszeiträume im amtsgerichtlichen Urteil eine hinreichende Grundlage für die Strafzumessung bieten.

bb) Die Berufungsbeschränkung ist auch nicht etwa deshalb unwirksam, weil die entsprechende Erklärung die Wendung enthält, dass sie sich zusätzlich auf die Rechtsfrage beschränke, ob für die Veranlagungszeiträume 2007, 2008 und 2009 ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO vorlag.

(1) Durch diesen Zusatz wurde das Rechtsmittel nicht auf die Rechtsfrage des Vorliegens eines besonders schweren Falls beschränkt. Vielmehr ist nach dem eindeutigen Wortlaut der Erklärung klargestellt, dass sich die Berufung gegen den Strafausspruch insgesamt wendet und dabei auch die Prüfung durch das Rechtsmittelgericht erstrebt wird, ob die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils eine Subsumtion unter die Vorschrift des § 370 Abs. 3 2 Nr. 1 AO rechtfertigen. Zu einer derartigen Prüfung wäre das Berufungsgericht aber auch ohne einen entsprechenden Zusatz verpflichtet gewesen, so dass der Rekurs auf die Rechtsfrage des Vorliegens eines besonders schweren Falles lediglich als Hinweis auf die Rechtslage anzusehen ist. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn der Rechtsmittelführer gleichzeitig zum Ausdruck gebracht hätte, dass er sich auch gegen die insoweit maßgeblichen tatsächlichen Feststellungen zur Höhe der hinterzogenen Steuerbeträge wenden wollte. Dies war aber zweifelsfrei nicht der Fall, was sich schon daraus ergibt, dass es ihm allein um die Klärung der „Rechtsfrage“ ging.

(2) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass es dem Angekl. vor allem darum ging, dass im Falle der Verneinung besonders schwerer Fälle bei einem Teil der Taten das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung eingetreten sei. Zwar kann dann nicht von einer wirksamen Beschränkung einer Berufung auf das Strafmaß ausgegangen werden, wenn der Beschwerdeführer sich auch gegen die Richtigkeit des Schuldspruchs oder der ihm zugrunde liegenden Feststellungen wendet (vgl. hierzu etwa OLG Bamberg, Beschl. v. 30.10.2017 – 3 Ss OWi 1206/17 = VM 2018, Nr. 7 = ZfS 2018, 114 m.w.N.), weil bei einer derartigen Konstellation die Beschränkung dem erklärten Ziel des Rechtsmittels widerspräche. Etwas anderes gilt aber dann, wenn der Beschwerdeführer – wie hier – der Auffassung ist, es sei Verjährung eingetreten. In einem solchen Falle besteht gerade kein Widerspruch im Willen des Rechtsmittelführers. Denn auch im Falle der horizontalen Teilrechtskraft, die durch die Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß eintritt, wäre das Verfahrenshindernis der Verjährung von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. speziell zur Verjährung nur BGH, Beschl. v. 11.4.2013 – 2 StR 401/12 [bei juris]).

3. Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand. Insbesondere hat die Berufungskammer zu Recht für die Veranlagungszeiträume 2007 bis 2010 den Strafrahmen des besonders schweren Falles nach § 370 Abs. 3 2 Nr. 1 AO wegen Steuerverkürzungen „in großem Ausmaß“ zugrunde gelegt, so dass auch keine Verjährung eintrat, weil die Verjährungsfrist gem. § 376 Abs. 1 AO jeweils 10 Jahre beträgt.

a) Für die genannten Veranlagungszeiträume liegt die Höhe der hinterzogenen Beträge jeweils über 50.000 €, was nach nunmehr gefestigter höchstrichterlicher Rspr. für die Erfüllung des Regelfallbeispiels der Steuerverkürzung in großem Ausmaß gem. § 370 Abs. 3 2 Nr. 1 AO ausreichend ist (BGH, Urt. v. 27.10.2015 – 1 StR 373/15 = BGHSt 61, 28 = NJW 2016, 965 = NZWiSt 2016, 102 = wistra 2016, 157 = NStZ 2016, 288 = StV 2016, 565). Der Umstand, dass nach früherer, insbesondere zu den jeweiligen Tatzeitpunkten maßgeblicher Rspr. ein besonders schwerer Fall i.S. dieser Vorschrift erst ab einem Hinterziehungsbetrag von 100.000 € angenommen wurde, wenn sich das Verhalten des Täters darauf beschränkt hat, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen und hierdurch lediglich eine Gefährdung des Steueranspruchs bewirkt wurde (vgl. BGH, Urt. v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08 = BGHSt 53, 71 = NJW 2009, 528 = wistra 2009, 107 = StV 2009, 188 = NStZ 2009, 271 = BGHR AO § 370 Abs. 1 Strafzumessung 19), führt nicht zu einem abweichenden Ergebnis. Denn nach den tatrichterlichen Feststellungen hat der Angekl. besondere Verschleierungshandlungen dadurch vorgenommen, dass er die Einnahmen auf ein Konto einer Schweizer Bank gutschreiben ließ. Bei dieser Sachlage war schon bei Zugrundelegung der früheren Rechtsprechung die Grenze zum besonders schweren Fall bei 50.000 € anzusetzen, weil sich das Verhalten des Angekl. gerade nicht auf ein bloßes Verschweigen steuerpflichtiger Einkünfte beschränkt hatte (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 26.10.2016 – 1 StR 172/16 = NZWiSt 2017, 68 = wistra 2017, 196). Darauf, dass bei einer Änderung der Rechtsprechung das in Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB normierte Rückwirkungsverbot nicht tangiert wird (vgl. nur BVerfG, Kammerbeschl. v. 27.6.1994 – 2 BvR 1269/94, NJW 1995, 125 = VRS 88, 1 [1995] = NZV 1995, 76 = BA 32 [1995], 127 = DAR 1995, 103; BGH, Urt. v. 20.3.1995 – 5 StR 111/94 = BGHSt 41, 101 = NStZ 1995, 401 = MDR 1995, 945 = NJW 1995, 2728 = NJ 1995, 539 = BGHR GG Art. 103 Abs. 2 Rückwirkung 4; Beschl. v. 8.4.2010 – 5 StR 491/09 = wistra 2010, 263; BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 16.5.2011 – 2 BvR 1230/10 = BVerfGK 18, 430 [offen gelassen für den Fall, dass die frühere Rechtsprechung durch ein Mindestmaß an Kontinuität einen Vertrauenstatbestand begründen konnte]), kommt es deshalb nicht an.

b) Auch die Strafzumessung im engeren Sinne weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angekl. auf. Insbesondere verfängt die Beanstandung, die Berufungskammer habe rechtsfehlerhaft strafschärfend berücksichtigt, dass eine „Verschleierung“ durch die Verwendung eines Schweizer Kontos erfolgt sei, obwohl es selbst festgestellt habe, dass das Konto nicht zu diesem Zweck eingerichtet worden sei, schon deshalb nicht, weil das LG diesen Umstand lediglich als flankierendes Argument zur Bejahung besonders schwerer Fälle für die Veranlagungszeiträume 2007 bis 2010 heranzog, nicht aber bei der Strafzumessung im engeren Sinn berücksichtigt hat. Ungeachtet dessen wäre die gezielte Umleitung der Einnahmen zum Zwecke der Steuerhinterziehung auf ein ausländisches Konto, was das LG explizit festgestellt hat, Ausdruck besonderer krimineller Intensität und hätte deshalb bei der Straffindung durchaus Berücksichtigung finden können. Der Umstand, dass das Konto ursprünglich zu einem anderen Zweck „eingerichtet“ worden war, worauf die Revision abstellt, ist demgegenüber ohne Bedeutung.

4. Dass das LG trotz wirksamer Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß rechtsfehlerhaft die Höhe des einzuziehenden Geldbetrags herabgesetzt hat, nachdem es sich bei der Einziehung nicht um eine Strafe, sondern eine Maßnahme eigener Art nach § 11 Nr. 8 [Alt. 2] StGB handelt (vgl. nur Fischer, StGB 65. Aufl., § 73 Rz. 4 m.w.N.), so dass dies seiner Entscheidungskompetenz entzogen war (vgl. zuletzt OLG Bamberg, Beschl. v. 6.11.2017 – 3 OLG 7 Ss 108/17 [bei juris]), beschwert den Angekl. nicht. ...

Anmerkung:

Die Entscheidung des OLG Bamberg enthält in ihrem hier interessierenden steuerstrafrechtlichen Teil (Leitsatz 2) letztlich nichts Neues. Das Urteil gibt aber, (auch) aufgrund der lapidaren Unbefangenheit, mit der sich der Senat einer hochkomplexen Gemengelage von materiell-rechtlichen Fragen des Steuerstrafrechts, des Prozessrechts und, nicht zuletzt, auch des Verfassungsrechts widmet, Anlass zu einigen Bemerkungen:

Das OLG meint, es gehe vorliegend um die Prüfung, „ob die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils eine Subsumtion unter die Vorschrift des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO rechtfertigen“. Diese Frage wird bejaht, weil „für die Veranlagungszeiträume 2007-2010“ der Strafrahmen des besonders schweren Falles nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO „wegen Steuerverkürzung in großem Ausmaß“ zugrunde gelegt werden müsse, „sodass auch keine Verjährung eintrat, weil die Verjährungsfrist gemäß § 376 Abs. 1 AO jeweils 10 Jahre beträgt“.

Das OLG lässt allerdings unerwähnt, dass für die vor dem 1.1.2008 beendete Tat die Vorschrift des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 a.F. AO (anders als der derzeit geltende § 370 Abs. 2 S. 2. Nr. 1 AO) nicht nur Steuerverkürzungen „in großem Ausmaß“ verlangt hat, sondern (als einschränkendes Merkmal) Handeln „aus grobem Eigennutz“.

Diese Vorschrift war also im Verhältnis zu dem vom OLG zugrunde gelegten § 370 Abs. 3 S. 2. Nr. 1 AO n.F. das mildeste Gesetz i.S.v. von § 2 Abs. 3 StGB.

Soweit also vorliegend grober Eigennutz fehlen würde, läge – nicht nur auf den ersten Blick – in der Anwendung eines zur Tatzeit nicht geltenden schärferen Gesetzes ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG) in konkreter Gestalt von § 2 Abs. 3 S. 3 StGB nahe. Immerhin wäre dann die vom OLG angenommene 10-jährige Verjährungsfrist des § 376 Abs. 1 AO zur Anwendung gekommen, obwohl die Tat zum Zeitpunkt ihrer Begehung kein Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 S. 2 AO a.F. erfüllt hätte. All das entspräche zwar der Rechtsprechung des BGH (BGH NStZ 2013. 415), doch bleibt auch dieser jede Begründung dafür schuldig, warum die Änderung einer verfahrensbezogenen und daher dem Rückwirkungsverbot nur beschränkt zugänglichen Vorschrift (wie die des § 376 AO) fehlende materielle Voraussetzungen eines besonders schweren Falles zur Tatzeit soll gleichsam „overrulen“ können. Selbst wenn – mit dem BGH und in dessen Gefolge dem OLG Bamberg – weder bei der durch § 376 Abs. 1 AO bewirkten (erheblichen) Verlängerung der Verjährungsfrist noch bei der die Grenze des besonders schweren Falles i.S.v. § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO einheitlich deutlich nach unten verschiebenden Rechtsprechung des BGH (vgl. BGHSt 61,28) das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot betroffen sein sollte, geht es bei Fehlen von „tatbestandlichen“ Voraussetzungen eines besonders schweren Falles weder um das eine noch um das andere. Bezeichnenderweise wird die vom BGH gewählte Auslegung des § 376 Abs. 1 AO (der zufolge es allein darauf ankomme, ob ein Regelbeispiel eines besonders schweren Falles verwirklicht sei, nicht aber, ob sich die Tat nach der gebotenen Gesamtwürdigung der Umstände im konkreten Fall als besonders schwer darstelle) z.T. (BGH NStZ 2013, 415) als „Tatbestandslösung“ bezeichnet (vgl. Heerspink in KSt. Lfg. 58 August 2017, § 270 AO, Rz. 22). Auch das macht deutlich, dass es – auch bzw. in erster Linie – um die Rückwirkung einer Vorschrift des materiellen Rechts geht.

Im Ergebnis bleibt damit offen, wie die Anwendung einer Verfahrensvorschrift im Verbund mit einer täterungünstigen Änderung der Rechtsprechung eine Handlung zu einem besonders schweren Fall mit im Verhältnis zum (Grund-)Delikt erheblich erweiterten Strafrahmen soll umwandeln können, obwohl ein besonders schwerer Fall zum Tatzeitpunkt weder objektiv noch (schon deswegen) subjektiv gegeben war (zu den subjektiven Anforderungen an die Merkmale eines besonders schweren Falles vgl. nur Fischer, § 243 Rz. 27).

Das OLG hält sich mit solchen Überlegungen nicht auf. Immerhin wird erwogen, dass nach „... zu den jeweiligen Tatzeitpunkten maßgeblicher Rechtsprechung ein besonders schwerer Fall ... erst ab einem Hinterziehungsbetrag von 100.000 Euro angenommen wurde ... und hierdurch lediglich eine Gefährdung des Steueranspruchs“ bewirkt wurde, um sodann fortzufahren: „Bei vorliegendem Sachverhalt war aber schon bei Zugrundelegung der früheren Rechtsprechung die Grenze zum besonders schweren Fall bei 50.000 Euro anzusetzen, weil sich das Verhalten des Angeklagten nicht auf ein Verschweigen steuerpflichtiger Einkünfte beschränkt“ habe. Daher komme es auf eine ggf. täterungünstige Änderung der Rechtsprechung und deren nachträgliche Geltung nicht an.

Dass aber auch oder gerade von Gesetzes wegen die vor dem 1.1.2008 beendete Hinterziehung kein besonders schwerer Fall gewesen sein könnte und daher die unüberwindbare Schwelle eines verfassungsrechtlich angeordneten Rückwirkungsverbots hätte thematisiert werden müssen, ist dem OLG Bamberg nicht einmal einen Satz wert.

RAin/FAinStrafR Dr. Katharina Rausch, Bernsmann Rausch Strafverteidigung, Köln

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